Max Reimann

 
 

Genosse Karl Stenzel, Berlin, über sein Zusammensein mit Max Reimann

im KZ-Sachsenhausen und dem Nebenlager Falkensee

 

 

Ich habe Max Reimann nur im Konzentrationslager kennergelernt. Ich kannte ihn nicht vorher. Meines Erachtens oder meines Wissens hat Max Reimann eine Nummer gehabt 39tausend usw. Er muß also Ende 1940 Anfang 41 nach Sachsenhausen gekommen sein. Ich bin erst Ende 1941 ins Lager gekommen. Vermittelt wurde die Bekanntschaft mit Max Reimann durch den Genossen Horst Sindermann und zwar hing das damit zusammen, Max Reimann war Koch in der Kommandantur-Küche und Horst Sindermann war Leiter des Magazins – des Lebensmittelmagazins der Kommandantur – und ich war damals in der Häftlingspoststelle und habe als Mittelsmann gedient für umfangreiche Versorgung mit Lebensmittel für unsere Genossen. Durch den Kontakt mit Horst Sindermann und Max Reimann habe ich einiges über die politische Arbeit, die Max Reimann in Sachsenhausen leistete, erfahren. Wobei ich bemerken muß, ich hatte nicht das politische Niveau, um Partner, unmittelbarer Partner, von Max Reimann zu sein, sondern die Räume der Häftlingspoststelle dienten zeitweise als Treff einiger Genossen, mit denen Max Reimann engen Kontakt hielt. Ich weiß, daß Max Reimann engen Kontakt mit Fritz Selbmann hatte, engen Kontakt mit Rudi Reuter und mit Max Opitz und daß in dieser Zeit, im Jahre 1941, nach dem Überfall auf die Sowjetunion und nach der Ermordung der 18.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, eine lebhafte politische Diskussion im Lager unter den führenden Genossen war. Es gab in dieser Zeit in Sachsenhausen keine zentrale Parteileitung. Es war aber so, daß ehemals führende Genossen ausreichend Autorität besaßen, um eine große Zahl Genossen um sich zu sammeln, so daß wichtige politische Meinungen unter diesen führenden Genossen ausdiskutiert wurden und es doch im wesentlichen eine einheitliche Linie in Sachsenhausen gab. Es ging in dieser Zeit, im Jahre 1941, offensichtlich initiiert vom Genossen Fritz Selbmann, um das Verhältnis der Genossen, der deutschen Genossen, zu den Häftlingen anderer Nationen. Das ergab sich aus den Diskussionen, welche Politik müßte nach dem Sturz Hitlers in Deutschland gemacht werden, auf welche Kräfte müßten wir uns stützen und auf welche Weise kann das Ansehen des deutschen Volkes wieder gehoben werden. Durch die vielen Jahre Haft, die eine ganze Anzahl Häftlinge, politische Häftlinge, hatten gab es mitunter bei Vorabeitern, Blockältesten und auch zum Teil Lagerältesten, ein nicht zu billigendes Verhalten Ausländern, ausländischen Häftlingen gegenüber. Fritz Selbmann kämpfte sehr energisch gegen diese Linie. Es gab so eine Linie, daß ein Blockältester sagte, wenn ich einen Häftling schlage, ich schlage nicht so hart wie die SS, es gab Vorarbeiter, die der Meinung waren, man kann ein großes Arbeitskommando ohne Schlagen nicht leiten. Es waren selbstverständlich falsche Auffassungen und in dieser Diskussion weiß ich, daß Max Reimann, Fritz Selbmann, Rudi Reuter und natürlich Ernst Schneller sehr eng zusammenarbeiteten, und in dieser Frage für ein einwandfreies Verhalten der Genossen sorgten und, daß die Linie, daß die Genossen nicht um einen persönlichen Vorteil Willen Vorarbeiter oder Blockältester sein dürfen und daß damit eine sehr wichtige, ja zu dieser Zeit die wichtigste politische Aufgabe verbunden ist, das Vertrauen aller Häftlinge zur Aktionseinheit zu sichern. Das war also die politische Grundlinie, die zu dieser Zeit von Fritz Selbmann ausging. Mit der Errichtung des Nebenlagers Falkensee ging Max Reimann Anfang 1943 nach Falkensee. Im Hauptlager Sachsenhausen ist durch die Häftlingsschreibstube dafür gesorgt worden, daß außer Max Reimann noch eine Reihe anderer Genossen in dieses neue Nebenlager gingen. Dazu gehörte Christian Mahler, dazu gehörte Bredemeier und eine Reihe Genossen als Blockälteste, insgesamt waren es wohl 10 Genossen. Dieses Lager war Ende 43 bereits auf etwa 1.200 Häftlinge angewachsen. Die Hauptkommandos waren einmal das RAW-Kommando Grunewald zum anderen das Kommando in der Halle 1 des Rüstungswerkes Demag-Falkensee. Dieses letzte Kommando hatte 600 Häftlinge. Daneben gab es noch eine Reihe kleinere Kommandos. Das Lager Falkensee ist vor allem wegen dem Demag-Betrieb, dem Rüstungsbetrieb, dorthin gelegt worden. Das Kommando, das nach RAW-Grunewald ging, hatte einen relativ weiten Anmarschweg. Nach Falkensee bin ich gekommen, nachdem ich aus der Gestapo-Isolierung im Block 58 wieder ins große Lager zurückgekommen bin. Der Leiter des Häftlingseinsatzes in der Schreibstube, der Genosse Karl Rüb, hat dafür gesorgt, daß ich aus dem großen Lager heraus und nach Falkensee vermittelt wurde. In Falkensee angekommen, merkte ich sofort, daß ich nicht zufällig in Falkensee gelandet bin, sondern daß sowohl der Genosse Max Reimann wie der Genosse Christian Mahler mich für einen ganz bestimmten Zweck angefordert hatten. Mein Arbeitseinsatz wurde vom Lagerführer Höhn bestimmt. Ich ging als 3. Vorarbeiter in den Rüstungsbetrieb Demag. Christian Mahler und Max Reimann informierten mich sofort, welche Aufgaben ich hatte. Meine Aufgabe war, ich sollte dieses Kommando in die Hände bekommen und wenn es notwendig sein würde, angenommen wurde ein Termin von 4 – 5 Monaten, wenn das notwendig sein würde, vom Arbeitskommando her, die SS entwaffnen, die uns als Bewachung mitgegeben wurde und von da aus zurück ins Lager zu marschieren und von außen das Lager befreien zu helfen.


















Wenn eine militärische Befreiung notwendig sein sollte. Die Vorbereitung dieser Aufgabe wurde von Max Reimann täglich kontrolliert und ich erhielt Hinweise, was im Arbeitskommando zu tun sei. Ich erhielt Unterstützung durch die Genossen im Lager, das organisierte der Genosse Max Reimann, so daß nach einigen Wochen bereits beide Vorarbeiter, der Vorarbeiter 1 Otto Müller und der Vorarbeiter 2, eine asozialer Häftling, dessen Name mir entfallen ist, praktisch in meiner Hand waren. Sie hatten entweder die Möglichkeit sich ruhig zu verhalten oder, wenn vom Lager aus Meldung gemacht würde, in eine Strafkompanie zu gehen, wegen Schiebung mit Baumaterialien, wegen Schiebung mit Lebensmitteln der Häftlinge und wegen Saufen und auch wegen Huren. Sie hatten über die SS die Möglichkeit dazu bekommen und bezahlten damit dafür, daß sie entsprechend den Weisungen der Betriebsleiter, Ingenieure der Demag, Häftlinge schlugen, wenn es von ihnen verlangt wurde. Als ich das Arbeitskommando in der Hand hatte, wurde dann nicht mehr geprügelt im Arbeitskommando. Es wurden Kontakte hergestellt mit den norwegischen, den polnische und den französischen und selbstverständlich den sowjetischen Häftlingen, muß ich hinzufügen, daß sich in dieser Zeit – in diesen Monaten – auch das internationale Lagerkomitee bildete, unter der Leitung von Max Reimann, dem ich nicht angehörte – ich hatte eine bestimmte Aufgabe, und damit war ich also voll beschäftigt. Ich weiß, daß dieses internationale Lagerkomitee bestand, weil mir die Vertrauensleute für mein Arbeitskommando von Max Reimann unmittelbar gesagt wurden und bei Zwischenfällen, beispielsweise einmal mit französischen Häftlingen, die sich meinen Anweisungen nicht gefügt hatten, gab es am Tisch von Max Reimann und Christian Mahler in der Baracke eine Auseinandersetzung mit französischen Häftlingen, mit den Leitern dieser Arbeitsgruppe also dem Vormann dieser Arbeitsgruppe, einem Franzosen, es war eine französische Arbeitsgruppe, und einem Franzosen, den ich nicht kannte, der aber eine hohe Autorität hatte und die französischen Häftlinge wurden nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß meine Anweisungen zu gelten haben. Ich muß auch noch sagen, um was es ging. Ich erhielt von Max Reimann die Anweisung, die Rüstungsproduktion – wir stellten 15er Granaten her – schrittweise zu senken. Das war eine Verpflichtung, die im internationalen Komitee offensichtlich festgelegt war. Es mußte innerhalb von wenigen Monaten diese Rüstungsproduktion um die Hälfte gesenkt werden. Meine Gegenforderungen waren, daß da auch die individuelle Sabotage durch einzelne Häftlinge wegfallen muß, denn nur wenn die Sabotage organisiert durchgeführt wird, kann ein dauernder Erfolg erreicht werden. Es würde zuweit führen, zu schildern, in welcher Weise das geschah. Kontrolliert wurde aber, das die Produktion tatsächlich sank, und ich hatte das gewissermaßen als Auftrag dem internationalen Komitee gegenüber übernommen, obwohl ich es nicht kannte, aber durch Max Reimann ist mir dieser Auftrag gegeben worden. Es kam dann eine Zeit, wo das internationale Lagerkomitee, unter Führung von Max Reimann sich damit beschäftigte, was ist, wenn wir evakuiert werden. Das lag nahe, denn es kam ein Kommando von Lieberose, jüdische Häftlinge, etwa 300 oder 400 Häftlinge, und sie waren in einem Zustand, aus dem zu sehen war, daß sie auch wenn sie nach Sachsenhausen kommen, also zurückgeführt werden bis ins große Lager, sie nicht am Leben bleiben werden. Es war auch so, die Menschen sind ermordet worden. Wir hatten in den wenigen Stunden, die dieses Kommando bei uns Rast machte, die Möglichkeit mit diesen Häftlingen zu sprechen und sie erzählten uns das erste Mal wie viele Tode dieser Marsch von Lieberose bis nach Falkensee gekostet hat. Infolgedessen gab es eine Linie des Lagerkomittees, eine Evakuierung nicht mitzumachen, sondern Widerstand zu leisten. Mir ist bekannt, daß ein militärischer Aufstandplan erarbeitet wurde. Von den deutschen Genossen war für militärische Fragen der Genosse Bredemeier eingesetzt Ich weiß, daß ein französischer de gaullistischer Offizier das militärische Kommando hatte, daß es aber eine Weisung gab, daß nur Max Reimann und die deutschen Genossen den Termin bestimmen, wann eine militärische Entscheidung zu treffen ist. Das also nicht die französischen Genossen von sich aus oder die sowjetischen Genossen von sich aus sagen, also jetzt müssen wir kämpfen. Ich hatte mit dieser militärischen Seite etwas zu tun, mir wurde gesagt, da Stoßtrupps gebildet wurden, die die einzelnen Wachtürme erobern müßten. Das Lager konnte nicht frontal zum Ausgang erobert werden, weil dort Maschinengewehre standen. Leichter war es schon, die Türme zu erobern, der Anmarschweg war kürzer, der Abstand der letzten Baracke und dem ersten Turm betrug etwa 15 m, während es über den ganzen Appell-Platz weg etwa 100 m waren, die angestürmt werden mussten. Trotzdem hat der de Gaullistische Offizier, wie mir das der Genosse Bredemeier einmal im Lager gesagt hat, eine Quote von etwa 300 Toten für diesen Aufstand oder für diese Selbstbefreiung einkalkuliert. Ich hatte die Aufgabe, wahrscheinlich eine ganze Reihe anderer Genossen auch, Waffen zu besorgen. Ich bekam von Max Reimann bzw. von Christian Mahler Dollars, Pfund-Noten, mit Juwelen besetzte Uhren und mit Juwelen besetzte Ringe. Mit dem ausdrücklichen Vermerk „sind nur für den Kauf von Waffen zu benutzen“. Da ich früher einmal in dem Arbeitskommando Schuhfabrik gearbeitet hatte, wusste ich, daß dieses Geld und diese Juwelen nur von den sowjetischen Arbeitskommandos, einem Kriegsgefangenen-kommando sein konnten, die in der Kleiderverwertung, der Rohstoffverwertung, in einer Isolierung arbeiteten und dort aus den Kleidungsstücken und Schuhen ermordeter Häftlinge, meistens kamen diese Kleidungsstücke aus Auschwitz, Maidanek und Lublin, dieses Geld und diese Juwelen gefunden wurden und einiges behalten wurde für solche Zwecke. Es hat also eine direkte Verbindung zwischen Max Reimann und dem Lager auch in dieser Frage gegeben. Ich hatte auf diese Weise die Möglichkeit, zu versuchen, Waffen aufzukaufen. Ich muß allerdings sagen, es ist mir nur in einem Falle gelungen. Die Möglichkeiten waren in diesem Arbeitskommando nicht in dieser Weise, dafür habe ich von einem Oberfeldwebel, einen leipziger ehemaligen Jung-Kommunisten eine Pistole geschenkt bekommen, die ich an Christian Mahler geliefert habe. Ich habe bei meiner Kauferei eine Pistole gekauft, ich weiß nicht, wieviel Waffen insgesamt vorhanden waren. Im Auftrag von Max Reimann habe ich zu der Frage, der bewaffneten militärischen Befreiung mit einem Vertreter der polischen Häftlinge gesprochen. Es gab unter den polnischen Häftlingen in Falkensee höchstwahrscheinlich keinen Genossen. Die Führung dieser Häftlinge, es war ein Transport der von Groß-Rosen gekommen war, ein fast geschlossener Transport vorwiegend bürgerlicher polnischer Häftlinge, die uns gegenüber doch sehr reserviert waren. Der polnische Häftling mit dem ich sprach vertrat die offensichtlich von leitenden Häftlinge verbreitete Auffassung, wenn das hier einmal zu Ende geht, sollen die Deutschen das unter sich ausmachen, uns wird nichts passieren, uns wird man frei lassen, wir werden nach Hause gehen. Sie wollten sich also neutral verhalten. Ich wurde zu einem polnischen Häftling, Professor Shuk, geschickt, und musste mit ihm am Tisch des Blockältesten abends diskutieren über das Problem des gemeinsamen Widerstandes, und zwar deshalb, weil ein sehr großer Teil dieser polnischen Häftlinge in meinem Arbeitskommandos waren und ich bei diesen polnischen Häftlingen persönliches Ansehen besaß, aber sie in dieser Frage noch nicht so weit waren. In dem stundenlangen Gespräch war die Hauptfrage der an die antisowjetische Haltung dieses polnischen Professors und offensichtlich einer ganzen Reihe seiner Leute. Es gelang uns, daß so weit zu überwinden, daß am nächsten Tag Max Reimann sagte, daß es jetzt eine Anweisung gibt, mit mir zusammen zu arbeiten – auch in dieser Frage. Die polnischen Freunde haben einen Vertrauensmann genannt mit dem ich dann auch ständig Kontakt gehalten habe, sodaß dann auch diese Frage geklärt war. Ich hatte einmal Gelegenheit in dieser Zeit, Kenntnis davon zu erhalten, daß Max Reimann entweder direkt, oder über das große Lager, auch mit der Widerstandsbewegung außerhalb des Lagers in Verbindung stand. Es ging um ein Material, das sich von einer Widerstandsgruppe, ich glaube es ist das Material der Saefkow-Gruppe gewesen, über den Sturz des Faschismus und was nach dem Sturz in Deutschland vor sich geht. Ich habe es heute nicht mehr genau in Erinnerung, ich hatte aber folgenden Auftrag. Ich hatte den Auftrag ins große Lager zurückzugehen zu dem Genossen Rudi Reuter, ja ich sollte zum Rudi Reuter gehen und Rudi Reuter sollte mir seine Meinung über dieses Material sagen. Es war also offensichtlich so, daß unter den führenden Genossen über dieses Material bereits eine Diskussion im Gange war und Max Reimann wollte die Meinung von Rudi Reuter über dieses Material wissen. Der Genosse Rudi Reuter lief mit mir eine Stunde auf dem Appellplatz und zwischen den Baracken und hielt einen Vortrag. Ich muß allerdings gestehen, als ich zurück kam und dem Max berichtete, stellte er konkrete Fragen, die ich nicht beantworten konnte, die ich offensichtlich nicht mitbekommen hatte, weil mein politisches Wissen und meine politische Aufnahmefähigkeit für diese Sache noch nicht ausreichte. Max Reimann war mir darüber sehr böse, er sagte, daß ich diese Aufgabe sehr schlecht erfüllt habe. Ich habe das nur mit genannt, um zu zeigen, daß Max von Falkensee aus, mit den führenden Genosse im großen Lager ständig verbunden war, so wie der Ernst Schneller von Klinkerwerk ständig verbunden war mit dem großen Lager, waren die führenden Genossen untereinander ständig verbunden, sie hielten Kontakte und einmal war ich eben diese Kontaktperson, auch wenn das Ergebnis nicht gerade ergiebig war. In Falkensee war es dann so, daß es nicht notwendig war, eine militärische, eine direkte militärische Befreiung vorzunehmen. Durch die Ereignisse, die Rote Armee hat diesen Komplex mit Fabrik und Konzentrationslager hufeisenförmig umschlossen, die faschistische Armee zog sich daraus schon zurück und diese unmittelbare Nähe der Roten Armee führte doch zu ganz erheblichen Zersetzungserscheinungen bei der SS-Führung, zumal von 125 SS-Leuten nur noch 25 sogenannte Totenkopf-Verbände waren, das andere waren gezogene Waffen-SS, auf SS-umgestellte Flak-Leute und Flugplatzpersonal. Auch der Lagerführer war vorher, bevor er das Lager übernahm, Hauptmann einer Flak-Einheit oder so etwas ähnliches. Als sie den Befehl gaben zur Evakuierung, wurden von seiten der Häftlinge, zuerst von Lagerältesten selbst, gesagt, daß wir nicht evakuiert zu werden wünschen. Als der Lagerführer nachdrücklicher wurde, sagten wir direkt, daß das Lager sich einer Evakuierung widersetzen würde. Es kam dann so, daß auch durch unsere politische Arbeit mit den SS-Leuten, daß diese monatelange Diskussion mit ihnen in einer bestimmten Richtung doch dazu geführt hat, daß sie den Lagerführern nahe legten, zur Front zu gehen bzw. in die Auffangstellung zu gehen, denn vor uns war noch Front. Hinter unserem Lager, ein paar hundert Meter weiter, war die erste Auffangstellung der Deutschen, der faschistischen Truppen. Für eine Nacht war das Lager erstmal ohne Bewachung. Diese Zeit nutzten vor allem die sowjetischen Häftlinge, um im Kommandanturbereich nach Waffen zu suchen, sie fanden ausreichend Waffen, weil die Lagerbewachung mit holländischen Gewehren und tschechischen Gewehren und tschechischen Handgranaten usw. durchgeführt wurde, aber da zu dem Fronteinsatz deutsche Waffen für die SS zur Verfügung standen und sie sich keine Zeit nahmen, um die Waffen restlos zu vernichten. Die Magazine der Gewehre waren weggeworfen und konnten auf dem Gelände wiedergefunden werden oder in anderen Barackenräumen gefunden werden. Es war so, daß auf diese Weise doch eine ansehnliche Zahl Waffen in die Hände, vorwiegend der sowjetischen Häftlinge kam, die ja alle militärisch ausgebildet waren. Das Lager hat sich dann vier Tage im Niemandsland befunden, bis dann die letzten deutschen Truppen aus dieser Umklammerung rausgingen und am 26. April der erste sowjetische Soldat ins Lager Falkensee kam. Max Reimann hat diese Taktik des Hinhaltens des Nicht-Evakuieren-Lassens und auch bis zu der Konsequenz, daß das Lager sich nicht evakuieren lässt, daß Widerstand geleistet wird, festgelegt, das sind Anweisungen von ihm gewesen. In dieser Weise sich zu verhalten. Max Reimann ist dann aus meinen Blicken wieder verschwunden, denn ich bin nach hause nach Leipzig, Max Reimann in einer anderen Richtung, offensichtlich erst nach Berlin gegangen. Er hat sich der Parteiführung dann zur Verfügung gestellt. Ja, ich möchte noch etwas sagen über die Persönlichkeit Max Reimann, wie sie auf mich gewirkt hat. Max Reimann war in der ganzen Zeit offensichtlich durch die Vernehmungen und durch die Haft, die er vorher hatte, sehr kränklich, vor allem war er sehr schwer magenkrank – die ganze Zeit. Er hätte in keinem schweren Arbeitskommando arbeiten können und er hätte auch nicht von der Häftlingskost leben können. Die Genossen haben dafür gesorgt, daß die Existenzbedingung für Max Reimann gesichert waren. Das ging nie soweit, daß Max Reimann sich ausruhte und eben lediglich sein Leben fristete, sondern er hat in der ganzen Zeit sich immer voll eingesetzt, er hat ununterbrochen eine intensive politische Arbeit geleistet und diese Tätigkeit als Koch im Kommandanturbereich oder als SS-Koch oder Koch für die SS-Küche in Falkensee, das war für Max in Wirklichkeit eine starke Belastung – persönliche Belastung – aber für ihn auch eine Existenzbedingung, er hätte das sonst nicht überlebt. Er hatte starkes Magenbluten, starke Magenkoliken und Krämpfe usw. Ich habe ihn oft gesehen, da hat er sehr, sehr starke Schmerzen gehabt. Bewundernswert war für mich seine Energie, mit der er diese Schmerzen überwand und wie er immer sofort wieder zur Tagesordnung, zur politischen Arbeit überging. Er hat auch da eine sehr große Energie aufgebracht. Max Reimann war äußerlich ein sehr charmanter Mann, das muß man schon sagen. Er war sehr freundlich und hatte eine starke Überzeugungskraft wenn er Probleme darlegte. Er hatte Humor, war lebenslustig, er erzählte manchmal wie steif wir sind, wie lebenslustig man doch in anderen Umständen sein kann, also ein fröhlicher Mensch mit starker persönlicher Wirkung. Den Respekt oder die Autorität die er hatte, die hatte er nicht durch einen bestimmten Anspruch den er erhob, sondern den hatte er durch seine ganze Persönlichkeit, durch sein ganzes Wirken, durch seine Klugheit, durch seine Energie, durch sein hohes politisches Wissen und durch das Geschick, mit dem er Menschen führen konnte. Das ist das, was ich dazu sagen will. Mit mir hat er sich sehr viel Mühe gegeben, auch für meine politische Qualifizierung hat er sehr, sehr viel getan, stundenlange Diskussionen mit mir geführt, wobei ich deutlich merkte, ich bin Schüler, und er nimmt von seiner Nachtruhe Zeit, um mich für die politischen Aufgaben vorzubereiten, die nach der Haft im Lager vor uns stehen, und ich muß sagen ich verdanke ihm auch von dieser Seite sehr viel. Genosse Karl, du hast nicht darüber berichtet, wieso Du die Möglichkeit hattest nach Sachsenhausen ins große Lager zu kommen und Dich dort mit dem Genossen Rudi Reuter zu unterhalten. Da wurden organisierte Überweisungen in das große Lager vorbereitet. In meinem Fall wurde ich zur Zahnbehandlung ins große Lager geschickt, dazu war es notwendig, daß der Genosse Christian Mahler eine Meldung machte, daß ich zur Zahnbehandlung ins große Lager musste. Das musste bestätigt werden von dem Vorarbeiter des Krankenreviers, der ja auch ein Genosse war, der Genosse Buttgereit, und infolgedessen bin ich auf einer der nächsten Transporte von Falkensee nach Sachsenhausen in Sachsenhausen abgeliefert worden. Im Revier wurde vermerkt, daß ich zur Zahnbehandlung dort war, da war ebenfalls in der Anlaufstelle ein Genosse und dann hatte ich Zeit bis zum nächsten Rücktransport, der in diesem Falle, weil der Max Reimann ja schnell Bescheid haben wollte, am nächsten Tage erfolgte. Aber auf diese Weise konnte man, wenn das notwendig war und Gespräche mit mehreren geführt werden mussten, mehrere Tage im großen Lager bleiben. Diese Möglichkeit hatte auch Max Reimann, davon hat er auch Gebrauch gemacht. Es war also so, durch eine Reihe Lagerfunktionen, die die Genossen hatten, ließen sich solche Überweisungen in das große Lager und vom großen Lager zurück in das Nebenlager zu jeder Zeit organisieren. Die Genossen, die führenden Genossen im Lager, die den Gesundheitszustand von Max Reimann kannten, sahen, daß er nur dann überleben kann, wenn er eine entsprechende Diät hat. Das war z. B. möglich in der Kommandantur-Küche der SS. Infolgedessen wurde Max Reimann als Koch in die Kommandantur-Küche in Sachsenhausen vermittelt und war dort bis er nach Falkensee ging. Da sein Gesundheitszustand, vor allen Dingen seine Magenkrankheit sich nicht wesentlich verändert hatte, wurde er auch in Falkensee in die SS Küche eingesetzt als Koch und hatte so die Möglichkeit Diät, zu bekommen. Natürlich war diese Funktion in der Kommandatur-Küche oder in der SS-Küche in Falkensee verbunden mit einer Reihe anderer Verpflichtungen bzw. Notwendigkeiten für oder Möglichkeiten, die den Häftlingen zugute kamen. Auf diese Weise konnte Max Reimann mithelfen, wertvolle Lebensmittel, vor allem Butter und Wurst ins Lager zu schmuggeln, die der SS entgingen. Auf diese Weise konnten TBC kranke Genossen im Revier zusätzlich versorgt werden, mit wertvollen Fetten, und dasselbe war in Falkensee möglich, denn das Krankenrevier, hatte nur wenig Möglichkeiten, Diät-Essen zu geben. Wir hatten wenig Möglichkeiten körperschwachen Genossen zu helfen, so daß also die Lebensmittel, die wir der SS-Küche wegnehmen konnten, uns da sehr viel geholfen haben. Das war natürlich für den Max Reimann eine zusätzliche Gefährdung und erforderte auch persönlichen Mut, doch auch diese Aufgabe wurde von Max Reimann mit einer großen Selbstverständlichkeit über viele Jahre hinweg getan. Ich möchte doch noch eine Episode erzählen, die zeigt, wie Max Reimann bei sehr großer Sachlichkeit aus den Schlussfolgerungen, aus bestimmten Verhaltensweisen oder bestimmten Ereignissen ziehen kann. Ich war Vorarbeiter in dem Arbeitskommando Demag Halle I, Granatenproduktion. Als wir eines Tages von der Arbeit, eines abends von der Arbeit kamen, ordnete der Rapportführer Strafsport auf dem Appell-Platz an. Im Gegensatz zu früher, wo ich den Strafsport den beiden anderen Vorarbeitern überließ, und ich nur dabeistand, hatte ich auf Anweisung von Max Reimann von einer bestimmten Zeit an, den Strafsport selbst zu leiten. Ich machte das auch, gab Kommandos, es musste auch Laufschritt gemacht werden, ich machte das immer nur eine ganz kurze Zeit, um dann vor allen Dingen „Mützen auf“ und „Mützen ab“ zu üben und „Richt Euch“ zu üben, Dinge, die weniger anstrengend waren, das war auch der Grund, warum ich den Strafsport leiten sollte, damit die Häftlinge auch in so einer Angelegenheit möglichst geschont werden. Auf einmal sprang der Berufsverbrecher Walter Bischof, der Leiter des Arbeitseinsatzes in Falkensee des Häftlingseinsatzes in der Häftlingsschreibstube war, auf, rannte einem sowjetischen Häftling hinterher und trat ihm in die Kniekehlen, weil er seiner Meinung nach die Beine nicht hoch genug gehoben hat beim Laufschritt. Ich rannte dem Bischof hinterher und wollte ihn vor weiteren Tätlichkeiten abhalten, aber er trat mit Füßen auf diesen Häftling ein. Daraufhin nahm ich den Arm von Walter Bischof und drehte ihn solange rum, bis er da ablassen musste, bei dieser Gelegenheit ist er natürlich in den Sand gerollt. Er sprang sofort wütend auf und ich wollte das noch etwas mildern, sagte was hat das für einen Zweck, darauf einzuschlagen, der versteht kein deutsch. Aber er brüllte: „Diese Sprache versteht er“, und wollte sich wieder auf den Häftling stürzen. Daraufhin habe ich ihn das zweite Mal zu Falle gebracht. In dem Moment kam die SS gelaufen und hat mich an das Tor gestellt. Mir wurde meine Vorarbeiter-Armbinde abgerissen und der Bischof schrie: “Du warst ja schon im Block 58 da kommst Du jetzt wieder zurück“. Die SS stand zuerst dabei, als sie wegging habe ich dem Bischof gesagt: „Nun gut ich komm in den Block 58 und Du kommst hinterher, von dir weiß ich genug, du warst ein Bandit und bist ein Bandit und hast dich auch immer als Bandit benommen aber alles lässt Dir auch die SS nicht durchgehen“. Da wurde er sehr nachdenklich. Ging vor zur SS-Kommandantur und verhandelte, kam dann zurück gab mir meine Armbinde wieder und sagte: „Wir kennen uns doch schon so lange, wir waren doch schon im Emsland zusammen, wir wollen uns doch nicht streiten, ich war auch ein bißchen hitzig also vergessen wir das“. Er hat also offensichtlich mit der SS darüber gesprochen, daß ich schon zuviel weiß von ihren Schiebungen, vor allen Dingen mit Baumaterialien, die für die Kriegsproduktion ja vorgesehen waren, denn in der Halle wurde ununterbrochen gebaut um die Rüstungsproduktion noch zu erweitern und andererseits wurden lastwagenweise Holz und Zement und Steine weggeschleppt für Häuser für die SS und für irgendwelche Geschäfte. Auf diese Weise wurde dieser Vorgang also vergessen. Als ich jetzt, das Ganze hat etwa eine Stunde gedauert, als ich in die Baracke zurückkam war Max Reimann sehr böse mit mir. Er sagte: “Man muß sich auf alle Fälle besser beherrschen können. Was wäre geworden, wenn Du in den Bunker gegangen wärst, was hältst Du aus, weiß Du wie viel Du aushältst. Du hast mit dieser impulsiven Handlung sehr viele gefährdet, so kann man das nicht machen“. Ich hatte zuerst gedacht, ich bekomme ein Lob wegen großer Menschlichkeit. Ich habe das eingesehen. Aber Max Reimann fuhr fort und sagte und trotzdem die Sache wird uns sehr weiterhelfen. Die Häftlinge anderer Nationen reagieren auf die Verhaltensweise deutscher politischer Häftlinge, wenn sie in der Form geschehen wie das hier der Fall ist, sehr gefühlsmäßig. Und es war so. Noch am selben Abend kamen die Norweger, die Franzosen und die Polen und brachten persönliche Geschenke und erklärten im Namen ihres Kollektivs, daß sie noch nie erlebt hätten, daß ein deutscher Häftling, dazu noch Vorarbeiter, einen deutschen Banditen zu Boden schlägt, weil er einen Häftling schlägt.

 

Der Block 58, er war bekannt im Lager und zwar war das die Gestapo-Isolierung, die errichtet wurde als die Sonderkommission der Gestapo im Lager die politisch führenden Kräfte vernichten

Es kam dann eine Zeit, wo das internationale Lagerkomitee, unter Führung von Max Reimann sich damit beschäftigte, was ist, wenn wir evakuiert werden.

Mitte Karl Stenzel 2010

Karl Stenzel 2011